Farbsehschwäche an einem ganz realen Beispiel erklärt.
Oder: Welche Farbe hat der Punkt?
Es ist Montag-Abend. Ich komme von meiner Lehrtätigkeit an der Beuth-Hochschule nach Hause, wo ich im Wintersemester das Fach „Mobile Anwendungen“ lehre. An seinem Schreibtisch sitzt mein Partner, eines dieser technischen Gadgets neben sich, deren Nutzen sich mir nur temporär erschließt. Es ist kaputt, irgendwas stimmt nicht. Normalerweise kein Problem, irgendwie werden die Dinge wieder zum Laufen gebracht. Dieses Mal nicht. Und das liegt an der Rot-Grün-Farbsehschwäche meines Partners.
Um diese Farbsehschwäche weiß ich schon lange. Es gab einige Beispiele in unserer Beziehung, wo sie zu Tage getreten sind. Ein Mal – ich glaube wir waren auf der Suche nach einem neuen Sofa – zeigte er im Möbelhaus auf ein oranges Regal mit dem Hinweis, dass es doch genau die gleiche Farbe hätte wie mein Logo. Er meinte nicht das Logo von absichtbar.de, sondern von mobile-knowledge.de, das ich kurz zuvor gestaltet hatte. Die Anteilnahme an meinem neuen „Baby“ hat mich gefreut. Allein, das Logo war grün. Farbintensität und Helligkeit kamen jedoch so gut hin, dass es für ihn nach der gleichen Farbe aussah.
Natürlich habe ich auch anfangs die Frage gestellt, wie er denn rot und grün bei der Ampel voneinander unterscheiden würde. Die Antwort ist letztlich einfach: in erster Linie an der Position auf der Ampel, aber auch an der Helligkeit. Das Grün leuchtet stärker als das Rot.
In anderen Fällen interpoliert er Farben nach der Logik:
- Alle lachen, wenn beim „Schuh des Manitou“ die Szene in weiß und grau erscheint? Klar, es handelt sich um rosa!
(Korrekte Interpolation, es war alles in rosa) - Die Pferde im Kindercomic haben farbige Strähnen im Haar und die Katze ist grau? Die wird vermutlich rosa sein.
(Fehlerhafte Interpolation, die Katze war wirklich grau)
Gut im Gedächtnis geblieben ist mir der Besuch bei einem Herren–Ausstatter, bei dem es uns nicht möglich war, dem Verkäufer zu erklären, dass es nichts bringt, wenn mein Partner eine Krawatte neben einen Farbkreis legt, um rauszubekommen, ob sie grün oder orange ist…
Farbsehschwächen erkennen
Meiner Erfahrung nach nützt es nichts, ein kleines Kind nach den Farbnamen zu fragen. Zumindest habe ich es zu früh versucht, als unser Kind die Farbnamen noch durcheinander gebracht hat.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich eine Mutter und ihr Kind vor vielen Jahren im „Science Center Spectrum„, dem interaktiven Mitmach-Museum, das zum Technischen Museum Berlin gehört, beobachtet habe. Sie schauten gemeinsam auf die Ishihara-Farbtafeln, die im Optikraum ausgestellt waren:
„Welche Zahl siehst du da?“ fragte die Mutter.
„Keine“ antwortete das Kind.
„Man, bist du doof“ – damit gab die Mutter zu erkennen, dass sie soeben die Chance verpasst hatte, die Farbsehsschwäche ihres Kindes entdeckt zu haben…
Bei meinem Partner wurde die Rot-Grün-Farbsehschwäche tatsächlich erst bei der augenärztlichen Prüfung zum Führerschein festgestellt. Davor hätte sie am ehesten im Kunstunterricht auffallen können, wo ihm die Arbeiten in schwarz/weiß wunderbar gelangen, Bilder mit Farben jedoch immer irgendwie seltsam blieben.
Wie die Farbsehschwäche die Reparatur des Gadgets verhindert hat
Mein Partner ist ein Pro-Nutzer der Google Suchmaschine. Wenn es im Netz was zu einem Thema gibt, dann findet er es. Es kommt durchaus vor, dass ich aufgebe und ihn um eine Recherche bitte, wenn ich nicht weiter komme. In diesem Fall hat er sich jedoch entschieden, den Chat des Herstellers zu nutzen. Der Support brauchte für das Troubleshooting von ihm eigentlich nur eine Information: In welcher Farbe leuchtet die Betriebsanzeige des Gerätes – grün oder orange?
Nun, genau diese Frage konnte er nicht beantworten und hat auf meine Rückkehr gewartet, um mich zu fragen.

Sie leuchtete grün.
Technische Lösungswege, um Farbsehschwächen auszugleichen
Natürlich hätte mein Partner auch eine technische Lösung wählen können:
- Ein Foto von der Anzeige mit dem Smartphone erstellen, es auf den Rechner oder auf einen Upload-Dienst übertragen und dem Support per Chat zugänglich machen können.
- Eine App recherchieren, die es ihm erlaubt hätte, den Farbwert abzulesen. Zum Beispiel Color Grab für Android oder Color Say für iOS.
- Einen Farben-zu-Tönen-Umwandler nutzen können, wie ihn der Künstler Neil Harbisson nutzt um seine Achromatopsie auszugleichen.
Allein: diese Lösungen hätten mehr Zeit und Aufwand bedeutet als kurz auf mich zu warten.
Gestalterische Lösungsansätze
Im Kommunikations- aber auch im Produktdesign, wie dieser Artikel zeigt, sollte eine Information nie allein über Farbe transportiert werden. Es ist immer ratsam, wenn die Form eines Icons, einer Leuchtanzeige etc. ebenfalls die notwendige Information transportieren kann. Am besten sogar in schwarz/weiß!
Es ist kein Zufall, dass die unten gezeigten Icons einige Monate, nachdem wir uns kennengelernt haben, entstanden sind. Liebe geht nicht immer durch den Magen, manchmal zeigt sie sich auch in einem Design.
